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06 09
Vivaldis 600
Eine Radiomoderatorin erzählte kürzlich folgendes:
Hätte Antonio Vivaldi nur eine handvoll Werke geschaffen, dann würden diese von der Musikwelt heute wohl gehütet wie ein Schatz. Er war jedoch im Gegenteil äußerst produktiv und so verstieg sich mal irgendjemand zu dem Satz, Vivaldi habe nicht 600 Concertos komponiert, sondern ein und dasselbe Concerto 600 mal.

Ich kann nicht beurteilen, inwieweit das der Wahrheit entspricht, da ich ehrlich gesagt nur bis Concerto Nr. 278 gekommen bin, aber es wirft wieder einmal ein Licht auf eine Tatsache, die uns heute meist nicht bewußt ist, dass nämlich die großen Klassiker der abendländischen Kultur auch Menschen waren. Dass sie Alltag hatten. ... Und irgendwie Geld verdienen mussten. Miete. Essen.

Unsere Gesellschaft (und vielleicht besonders die deutsche ?), neigt dazu, großen Namen mit Ehrfurcht entgegenzutreten und sie in quasi göttliche Sphären zu erheben. Das hat schon Tradition seit Kaisers Zeiten und läßt tiefe Schlüsse über die Funktionsweisen der modernen Gesellschaft zu. Kulturelle Klassen, musischer Opportunismus, Macht durch Bildung. Wer seine Klassiker nicht kennt und ehrt, der wird sich im Theaterfoyer schnell blamieren, der kann auch gleich wieder auf die Bäume steigen.

Die göttlichen Künstler gibt es nicht, wie sich leicht nachweisen läßt. Und braucht Kunst nicht Makel, um Menschen überhaupt etwas erzählen zu können? Entwertet etwa der Alltag die Kunst? Oder tut das nicht vielmehr der Museumssockel?

Beethoven konnte gegen Ende seines Lebens kaum noch hören, nicht nur, weil sein Gehör sich rapide verschlechterte, sondern auch weil seine Frau immer gerade während seiner Kompositionszeiten staubsaugen musste.






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Wie hat Frau Beethoven das geregelt bekommen? Mußte der Gatte, statt das Pianoforte zu bemühen, den rückwärtsgewandten Blasebalg treten? Orgeln vielleicht? (Auf jeden Fall scheinen Sie Staubsaugergeräusche auch nicht zu mögen. Ist das ein männliches Phänomen?)

Nein, der Alltag entwertet die Kunst nicht. Der Markt tut es. Aber das hatten Sie in etwa bereits erwähnt. Und Museen oder Konzerthäuser etc. werden dem immer ähnlicher, nicht alle, aber viele.
 
Zum Thema Kunst/Museum sagte Joseph Beuys sinngemäß, dass doch eigentlich der Sockel das Kunstwerk sei. Das kann man angesichts einer hochkomplexen Museumskultur, die schon seit langem ein Ding für sich ist, kaum verneinen.
Fragt sich nur, ob das Museum an sich auch bereits einen Besuch lohnen würde. Ein Haus, auf das das zuträfe, ist das Museum für moderne Kunst in Frankfurt. Das würde ich sogar besuchen, wenn es völlig leer stünde. ;-)


> "Auf jeden Fall scheinen Sie Staubsaugergeräusche auch nicht zu mögen."
Staubsaugergeräusche mag immer nur derjenige, der das Rohr schwingt. Hierzu übrigens ein Tipp, nein, eine Handlungsanweisung!

Man entferne den Saugkopf und lege seine Finger über das offene Rohr. Die eingesaugte Luft, die zwischen den Fingern hindurchgezogen wird, erzeugt dann die herrlichsten Unklänge. Durch Bewegung der Finger lassen sich diese Töne beliebig modulieren, der Saugstauber wird zum Musikinstrument!
 
Frankfurt: das hieße aber auch: Architektur = Kunst(-Werk). Ob so ein Solitaire der Kunst dienlich ist, darüber darf debattiert werden – und wurde ja auch. Mit dem heftigen Einsetzen der postmodernen Bauerei war die Debatte ja dann auch zuende. Wobei beim Frankfurter Tortenstück ja immerhin noch ein paar Kunst-Räume geblieben sind. Aber Hans Hollein hatte das ja zuvor in Mönchengladbach ausprobieren dürfen; da waren es noch Verstecke und (didaktische) Irreführungen. Allerdings ist es insofern eine – architektonische – Glanzleistung, wie er das winzige Grundstück genutzt hat. Wobei Hollein ohnehin zu denen wenigen Museumserbauern gehört, die darüber nachgedacht haben, welchem Zweck ein solches Gebäude dienen soll.

Ich tendiere im allgemeinen zur weniger spektakulären Museumsarchitektur, einer solchen eben, die der Kunst den Raum bietet, der ihr gebührt. Weil ich Beuys in diesem Punkt zustimme.
 
Zum Thema Kunst/Museum sagte Joseph Beuys sinngemäß, dass doch eigentlich der Sockel das Kunstwerk sei.

Eine meiner Lieblingsdefinitionen zum Thema "Literatur" lautet, Literatur sei, wenn es zwischen zwei Buchdeckel geklemmt ist und vorne "Kafka" draufsteht. Man muß diese Fetischisierung der Kultur ja derart immer wieder in Frage stellen.
 
"... Fetischisierung der Kultur... "

Auch ein interessanter Begriff. Die Kultur muss ja in unserer Gesellschaft für so manches herhalten. Als Positionierungshilfe für Klassen, als Sinnbild für jede Form von Dekadenz, als Rechtfertigung für Unfug, als Machtmittel im "Ich-sehe-was-was-du-nicht-siehst"-Spiel. Und gewissen Berufsgruppen sichert sie den Lebensunterhalt, ohne dass diese Leute selbst irgend etwas kulturelles tun.

Ich will das alles gar nicht allzusehr kritisieren oder runterziehen. Lest meine Worte immer doppelwertig. Der Kunst-Zirkus ist einfach ein interessantes, buntes Spielchen und als Wert sicher tausend mal besser, als das, womit sich dieses Volk noch vor 70 Jahren seiner selbst vergewissert hat.

Aber als Künstler (der ich einer bin) wünscht man sich bisweilen eine andere Form von Aufmerksamkeit, eine, die wirklich auf die Kunst zielt und sie annimmt.
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