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08 12
Das ist die Stille
Ich sehe mich bereits hinter dicken Mauern gemeinsam mit 100 Nonnen in einem langgezogenen Refektorium unter Kreuzgewölbe auf einer Holzbank sitzen und schweigend Brot kauen, während jemand aus der Bibel rezitiert. "Und ob ich schon wandert im finstern Tal ..."

Ich sitze im Zug und fahre ins Kloster. Eine "Auszeit" habe ich dort gebucht, ich ungetauftes Heidenkind. Verschiedenste Erwartungen vermischen sich, die Vorfreude auf eine Woche Ruhe mit leichtem Grusel vor dem Fremden. Aber auch eine Sehnsucht, nach etwas noch nicht fassbarem, am ehesten als "Weg" zu bezeichnen.

Der Zug soll ruhig noch ein bißchen weiterfahren, ein paar Stationen werden doch sicher noch kommen, vor der, zu der ich will. Dann muss ich noch nicht gleich ... Nein, schweig stille! Immer dieses Würmchen, das sich da in mir kringelt. Es soll keine Stimme haben, und die Tat einfach darüber hinweggehen. Das zumindest funktioniert inzwischen ganz gut.

Vor einer Stunde noch mitten im Gelsenkirchener Alltag. Hatte nach mehrtägiger, teils puzzeliger Arbeit, verbunden mit vielen Flüchen, doch noch meinen Beitrag zur neuen Ausgabe der Kunst-Peripherie-Ruhrstadt, einer freien Kunstausstellung, fertiggestellt. Ort diesmal: eine ehemalige, entweihte Kirche. Aus Draht und Pappmache hatte ich einen bestimmt zwei Meter großen weißen Engel mit langen Flügeln gebastelt, dessen Kopf einer Eingebung des Vortages zufolge blutig und verbunden war. Mithilfe meines Vaters hatte ich die große Figur noch diesen Vormittag zur Kirche transportiert und dort in eine der alten Kirchenbänke gesetzt. Praktisch gleich im Anschluss ging's zum Bahnhof und auf die Monate vorher gebuchte Reise. Auszeit im Kloster.

Bilder flitzen vorbei, draußen wie auch im Kopf. Ich entschließe mich, sie zu lassen. Ruhe fängt an.

Schließlich Bestwig. Aussteigen. Wohin? Nie hier gewesen. Orientierungslosigkeit. Losstrotzen. Gehen ist gut. Ein kleiner Bahnhof, davor eine Straße. Ich steige einfach die gegenüberliegende steile Straße hinauf, und wenn es die falsche sein sollte, macht's auch nichts. Ich lande ich einer Sackgasse zwischen deutschen Neu-Eigenheimen mit in den Auffahrten geparkten Autos. Ein Feierabendmann fegt vor seiner Tür. Doch gegenüber, auf der anderen Seite des grünen Tales, entdecke ich das Kloster. Aha, zurück nach unten auf die Hauptverkehrsstraße.

Lottoladen, Sparkasse, Volksbank, das Rathaus ist neu, das Fachgeschäft für Jagdzubehör alteingesessen, das Logo eines örtlichen Kommunikationsdesigners stylisch. Im ersten Stock spielt man Indoor-Minigolf. Vor dem Supermarktparkplatz steht verloren eine verlassene Villa in Backstein-Gotik. Ein Flüsschen fließt vorbei, wie der Verkehr auf der lauten Straße. Schicksal eines solchen Örtchens. Alles fährt nur durch.

Schließlich wieder steil bergauf, schmales Sträßchen, die Eigenheime mit all ihrem hinlänglich bekannten Zubehör finden sich wieder an, eines mit einem recht spektakulären Wasserspiel im Vorgarten lässt mich fast die Abzweigung verpassen.

Nun aber auf dem Klostergelände. Ich gehe auf den runden Haupteingang zu, der offenbar erst innerhalb der letzten zehn Jahre dem geradlinigen Hauptgebäude aus den 1960er Jahren vorgesetzt wurde: Stahl und Glas, Drehtür, darin hinter Glastrennwänden ein Klosterlädchen mit allerlei Geschenk-Klimbim sowie eine Pförtnerloge aus hellem Holz mit Computerbildschirm. Mittig als Plakette in den Boden eingelassen das Logo des Konvents, der Schwestern der Heiligen Maria Magdalena Postel. Dies könnte auch der moderne Eingang eines Krankenhauses oder eines Wellness-Zentrums sein. Wo sind nun all die Klosterbilder?

Doch da, in der Pförtnerloge, eine kleine, ältere Frau in weißer Ordenstracht, die genauso aussieht, wie so eine Nonne auszusehen hat. Sie blickt mich nur einmal an, da weiß ich schon, eine ganz liebe Frau. Sehr freundlich nimmt sie mich in Empfang und findet über den Computer heraus, dass ich der bin, der für heute angemeldet ist. Herr Jesse nennt sie mich. Sie greift einen Schlüssel aus dem Schrank; der müsste doch zu dem etwas abseits stehenden kleinen Wohnhaus gehören, das man für mich ganz allein reserviert hat, schließlich habe ich "Auszeit" gebucht. Nun aber ein Problem: die Schwester, die eigentlich für Gäste wie mich zuständig sein sollte, ist irgendwie nicht da, auch telefonisch nicht erreichbar, eine andere auch nicht. Was tun? Sie schließt die Loge ab und verlässt den Posten, um mir den Weg zu zeigen.

Direkt hinter dem runden Eingangsbau wechselt die Architektur die Jahrzehnte. Eine breite flache Treppe gehts hinauf, die Wände sind mit grauen Schieferstreifen verkleidet, die Handläufe, hochpoliert silbern und schlicht, mit eckigem Querschnitt, wirken wie von Heinz Mack gestaltet. Schön anzufassen. Dann der quadratische Innenhof mit Pflanzen, plätscherndem Wasser und einer Statuette der Gründerin des Konvents. Kreuzgang auf nachkriegsmodern. Darüber erhebt sich schon die direkt ins Gebäude integrierte Kirche ohne Turm. An Kreuzgewölbe denke ich überhaupt nicht mehr.

Kinderstimmen, Kinder flitzen uns durch eine Tür entgegen, die Schwester ermahnt sie freundlich: "Nicht so schnell, es könnte euch doch mal einer entgegenkommen."
Wieder ein anderer Gebäudeteil, ein Höhenunterschied wird mit einer Rampe ausgeglichen. Das Gästehaus wo ich frühstücken und zu Abend essen werde. Hier sieht's aus wie in einem mittelständischen Hotel oder einer Pension. Dann über den Parkplatz zu dem kleinen ortstypisch schieferverkleideten Wohnhaus. Sie kennt sich darin nicht so richtig aus, aber besichtigt das Haus mit mir gemeinsam. Der Schlüssel, den sie schnell aus dem Schrank gegriffen hatte, passt zu einer Zimmertür im Obergeschoss.

Ja. Fertig. Wir danken und verabschieden uns voneinander.


Bis zum Abendessen sind es noch ein paar Stündchen. Ich sitze einfach auf einem Stuhl und tue gar nichts.




Es pfeift ein wenig in meinem Ohr; das ist die Stille.





Jedes Zimmer des Häußchens ist einer Person gewidmet. Entsprechend liegen ein oder zwei Bücher auf dem Tisch, ein Bild hängt an der Wand und daneben ist ein Zitat angeschrieben. Hier:

"Oh Gott, wenn Du überall bist, wie kommt es dann, dass ich so oft woanders bin?"

Madeleine Delbrêl





Irgendwann ein Anruf von Astrid. Alltag von Zuhause brandet durch die Leitung. Keine gute Stimmung dort. Ich versuche etwas Ruhe hinüberzuschicken.


Beim Abendessen im Gästehaus: ruhige Menschen, in einer ruhigen freundlichen Athmosphäre. Man macht sich Brote, trinkt Orangensaft oder Tee. Eine Schwester in weißer Tracht geht von Tisch zu Tisch, spricht mit allen ein paar Worte, begrüßt mich Neuankömmling. Unaufgeregte Nichtbesonderheit steht wohltuend im Raum.


Wieder in meine Klause zurückgekehrt, lege ich mich, obwohl es noch früh ist, gleich ins Bett. Nichts anderes hatte ich vor. Ich beginne zu lesen, was auf dem kleinen Tisch im Zimmer liegt. Die Mystikerin der Straße.

Daheim wird währenddessen die Kunstaustellung in der Kirche eröffnet. Astrid guckt sich gerade meinen blutenden Engel an. Diverse Leute. Gespräche. Worte.
Ich schlafe bereits.


In Irland stürzt irgendwann an diesem Abend Rolf Gildenast in den Tod.









 
 
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