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03 14
Das große Herz


18 Jahre alt ist der junge Mann auf diesem Foto.

Zu diesem Zeitpunkt hat er noch viel vor sich.

Gerade ist er aus seinem Elternhaus ausgezogen. Jungsporn mit langen Haaren gegen Vater - man kann es sich denken. Er zieht in eine kirchliche Jugendgruppe, lebt frei und alternativ, in vollen Zügen, probiert vieles aus, hört Musik von Beatles bis Bach, will Schriftsteller werden, verlegt sich dann aber auf das Verfassen ausgefeilter Liebesbriefe. Mit den Mädchen kann er es, er, der wilde, aber auch schüchterne und sehr gefühlvolle junge Mann.

Er kommt in Kontakt mit dieser und jener politischer Strömung und mit verschiedenen Weltanschauungen, das ganze Zeitgeschehen. Er nimmt vieles mit, baut auch mal Bockmist, etwa als er ein Auto, das ihm nicht gehört, in den Graben setzt. Unzählige Geschichten wird er später über diese Zeit zu erzählen wissen. Er probiert auch Drogen, und nicht wenig, er gerät gar über Jahre an die Flasche, doch er kommt wieder los.

Seine erste Ehe, ein Kind, eine kleine Tochter. Doch dann wieder: Scheidung, Rückkehr zu den Eltern, jedoch mit der Tochter. Sie ist nicht gesund, herzkrank und entwicklungsverzögert, jedoch ein ganz besonderer Mensch, ein Kind von Fröhlichkeit. Als sie nach langem Kampf und verschiedenen Operationen schließlich nicht mehr aufwacht, bricht für den jungen Mann eine Welt zusammen. Niemals wird er sein kleines Kind vergessen, immer bleibt sie ein Teil seines Lebens.

Seine zweite Ehe, aus der wiederrum Kinder hervorgehen: über zwanzig Jahre lang - aber nie völlig erfüllt, nie wirklich Liebe, immer mit einem Teil von Unehrlichkeit, in gewisser Weise wohl auf beiden Seiten. Am Ende viel Streit. Schwere Jahre.

Und dann schließlich etwas Seltenes: eine ganz neue Liebe, plötzlich gefunden, keine Zweifel, die Partnerin für's Leben, schönste Momente. Kaum zu glauben. Eine riesen Sache. Beide wagen den Sprung, verlassen füreinander ihre Partner und die gerade erwachsen werdenden Kinder. Sie machen Träume wahr, ihr beider neues Leben - ein Wunder. Gemeinsam wohnen sie in einem kleinen Haus im Grünen. Er schreibt noch immer, Gedichte, nun auch für sie.

Doch dann ein Schatten: Krankheit. Bei ihr ist es MS, es beginnt eine schleichende Lähmung, Nerv für Nerv, es gibt keine Heilung. Und bei ihm - Krebs. Er kann ihn für's Erste besiegen, doch es ist klar, der Krebs wird wiederkommen. Früher oder später. Beide wissen, dass sie nicht alt werden können, ihre Zeit läuft ab.

Die Krankheit zwingt sie, ihr Haus zu verlassen und in eine barrierefreie Wohnung in der Innenstadt zu ziehen. Traurig ist das, doch sie wissen, es ist der Lauf der Dinge. Eine Lebensphase ist beendet, es beginnt eine andere, offenbar die letzte. Doch das wichtigste: ihr Miteinander, ihre Liebe.

Ihre letzten gemeinsamen Jahre, eingeschränkt, im Zeichen der Krankheit - aber erfüllt. Neue Kontakte, neue Freunde, gemeinsam beteiligen sie sich an einem Buchprojekt, er schreibt viel im Netz, sie, bereits bettlägerig, gelähmt und stark pflegebedürftig, bleibt im Privaten. Eine Künstlergruppe realisiert gemeinsam mit ihm eine Ausstellung seiner Texte und Bilder, man könnte sagen: in letzter Minute.

Denn es kommt, wovon er seit langem wußte, dass es wieder kommen würde: der Krebs. Noch einmal nimmt er den Kampf auf. Das schlimmste an dieser Phase: dass sie beide sich trennen müssen, er ins Krankenhaus, sie ins Pflegeheim. Die schönsten Momente: wenn sie sich sehen können.

Dann eine Aufhellung, es geht ihm besser, sie können wieder in ihre gemeinsame Wohnung zurückkehren, noch einmal, sie verleben letzte Tage, letzte Stunden. Doch dann, ganz plötzlich, packt es ihn und wirft ihn vor ihren hilflosen Augen zu Boden, der Tod.



Er hatte es seit vielen Jahren gewußt, es war der vorhersagbare Verlauf einer unheilbaren Krankheit. Und er hatte seinen Frieden damit gemacht. Er sagte, er habe so vieles erlebt, gelebt und durchlebt, er habe die Hölle durchwandert und den Himmel durchflogen - es sei gut. Was noch käme, er würde es mit Freuden nehmen, doch wenn dann Schluß sei - er wäre bereit.

Er lebte seine letzten Jahre in einer ruhigen, heiteren Freundlichkeit. Und in großer Liebe zu seiner Partnerin. Er sagte, wenn ihn sein Leben mit dessen vielen Aufs und Abs, seinen Irrwegen und Öffnungen, seinen Trauer- und Glücksmomenten eines gelehrt habe, dann dass nur glücklich werden könne, wer ehrlich und offen sei.

Als einen solchen Menschen habe ich ihn kennenlernen dürfen.
Er war ein weites großes Herz - Günter Kania.






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Günni
Er hatte zudem noch einen ausgesprochen guten Musikgeschmack und hat es beim Hausputz ordentlich krachen lassen für seine gute Fee und Katze ärgern - liebevoll - und immer am Ball sein, ständig sich selbst vergessend und sogar noch mich zufrieden stellen zu wollen und ich nahm seine Hilfe nicht an, obwohl ich wußte, er möchte mal kurz raus und all diese körperlichen Arbeiten die ihn schier überforderten und ich fragte mich: "Wie lange schafft er das noch." und dann schaffte mich mein eigenes Leben und der Kontakt brach ab, wie immer bei mir - fast wortlos nach intimen Alltagsdingen, dennoch nicht weiter hinterfragt durch Günni - er war ein wenig wie ich, auf alles gefasst und nun frage ich mich: bin ich wirklich so ein lieber Mensch wie Günni?
Er hatte eine wunderbare Art an sich. Er war vollkommen zufrieden mit seinem Leben. http://de.musicplayon.com/play?v=603993
 
Ein Interview mit Günter Kania, entstanden 2012 während der Vorbereitung seiner Ausstellung:

astrid_becker_im_gespraech_mit_guenter_kania_2012.mp3
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Last update: 2018.11.20, 18:44
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