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Das offene Grab




Heute vor einem Monat starb Jürgen Kramer.

In der Rückschau ist es, als habe er einfach plötzlich aufgehört zu sprechen. Und nach einer kurzen Phase der Aufmerksamkeit ist auch das öffentliche Echo wieder verstummt. Alles geht seinen alltäglichen unaufhaltsamen Gang - eben genau jenen, gegen den Jürgen sich stets auflehnte, und dem er mit teils drastischen Bildern und Worten flammend gegenübertrat:
lebende Leichen
das Nichts
Wüsten in uns
Aufruhr
Revolte
Kunst
Liebe
das Bergwerk der Seele
Mensch werde wesentlich!
Wer spricht weiter?
Spricht er weiter?


Provokant war Jürgen bis zuletzt. Als er mich im September diesen Jahres beauftragte, einen neuen Katalog mit seinen Bildern zu layouten, legte er als erstes das Titelbild fest: "Grab 2" aus dem Jahre 2011.

Ich schrieb per Mail:
Hallo Jürgen,

die Komposition liegt in den ersten Zügen. Viel zu sehen ist noch nicht.

Nur dieses: über das Titelbild habe ich mir Gedanken gemacht. Du sahst hierfür das Grab mit Spaten vor. Astrid meinte daraufhin spontan: "Grab als Titelbild? Geht denn das? Muss denn das?"

Ich weiß, Du kannst diese Bildwahl sicher begründen, aber auch ich dachte mir: Hm, Grab is Grab. Deshalb habe ich mal einen Alternativ-Entwurf entwickelt. Siehe Anhang. ;-)

Gruß,
Jesse


Auf diesem "Alternativ-Entwurf" hatte ich das Bild "Schwalben" von 2009 ganzseitig ins Format gesetzt und den Titel weiß hineingeschrieben. Doch Jürgens Antwort kam prompt:
Lieber Jesse,

das "Grab 2" muß sein, damit sich Kenner wie Astrid provoziert fühlen, einerseits. Andererseits ist es eine Erinnerung an meine "schwarze Periode".
Bitte nimm auch für Schrift und Komposition das Vorbild unseres Partiturenkatalogs, damit so etwas wie eine Reihenvorstellung entsteht.

Morgen, Dienstag, bin ich den ganzen Tag unterwegs. Also bis Mittwoch

Herzlichst
Jürgen


Das Grab - sein Programm. Er wußte - wie immer - genau, was er wollte.

Auch Johannes Stüttgen wies in seiner Trauerrede auf dieses Titelbild hin:
... Jürgen Kramer hat kontinuierlich, ja bis zuletzt Gräber gemalt, durch all die Jahre bis zum letzten – das letzte Grab ist auf seinem letzten Heft „Grab 2“ 2011, auf dem Deckel abgebildet, also noch in diesem Jahr gemalt. Und wenn man ganz genau hinschaut, über dem Grab mit der Schaufel links in dem Erdhaufen, dann sieht man da weiße, ganz leichte weiße Flügel.

Kramer hat ununterbrochen Gräber gemalt, bezeichnenderweise auch ununterbrochen Engel. Und diese zwei Aspekte, das Grab und der Engel – das gehörte bei ihm zusammen – in diesen Jahrzehnten ununterbrochener Arbeit immer am Rande des Grabes, unmittelbar am Abgrund. ...

->Quelle


Das offene Grab - war es schon sein eigenes? Unweigerlich denkt sich dieser Gedanke.

Aber gewußt hat er doch sicher nicht, dass es schon so bald soweit sein würde? Wie der obige Mailwechsel dokumentiert, war er nach wie vor "unterwegs". Und offensichtlich stand das Grab bei ihm ja ohnehin für etwas ganz anderes. Vielleicht gar mehr für das Leben als für den Tod?

Ob man nun Johannes Stüttgens Bild von Jürgen Kramer als desjenigen "der den Tod ununterbrochen versucht hat zu ergreifen, der sich auf ihn eingelassen hat, so, daß es fast unvergleichbar ist" zustimmen will, bleibt jedem selbst überlassen.

Ich will an dieser Stelle auch an Joseph Beuys erinnern, der sagte:
"Der Tod hält mich wach."



Jürgen hatte den Druck seines letzten Kataloges durch den Verkauf des Bildes "Königin" finanzieren können. Er betrachtete das schmale Heft im guten Sinne als Werbung für sich und seine Arbeit; deshalb gab er es kostenlos ab und legte es teilweise sogar zur Mitnahme aus, z.B. im Geschäft eines befreundeten Optikers in seiner Nähe. Vor diesem Hintergrund denke ich, ich handele in Jürgens Sinne, wenn ich seine letzten "Malereien" nun auch online zur Verfügung stelle.

Der Katalog kann hier als PDF heruntergeladen werden.
Ich wünsche viel Freude daran.

juergen_kramer_-_malereien_2009-2011 (pdf, 1,081 KB)








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Danke für die Datei. So isses; ein bisschen Trauerfeier, ein paar Nachrufe und schon ist ein Mitmensch aus dem Alltag der Lebenden verabschiedet; besser: GEtilgt. :o/

Euch ein frohes Fest und hoffentlich entspannte Tage.
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