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"Im Gespräch" - Michael Klaus & Jürgen Kramer


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Am 3. Mai 2008 besuchte Jürgen Kramer den Schriftsteller Michael Klaus in dessen Wohnung in Gelsenkirchen-Buer. Das von Hartmut Hering moderierte Gespräch kreiste um künstlerische Werdegänge, die Sinnfrage, die Bedeutung der Kunst für Individuum und Gesellschaft, sowie die Situation der Zeit in der westlichen Welt und Gelsenkirchen im Besonderen.

Ich war damals als Kameramann der Gelsenkirchener Geschichten mit dabei und erlebte das Aufeinandertreffen zweier Temperamente, das des bedingungslosen Romantikers Jürgen Kramer und das des gelassenen Pragmatikers Michael Klaus.

Wem ist man mehr zugeneigt? Ich für meinen Teil schwanke zwischen beiden Positionen, bin mal mehr auf der einen, mal mehr auf der anderen Seite. Indes nimmt die Thematik an Aktualität nur immer noch zu.



Dieser Film der Gelsenkirchener Geschichten war lange Zeit online nicht mehr verfügbar. Warum? Zu Anfang und Ende werden jeweils ein paar Takte einer alten Jazzaufnahme eingespielt, die aufgrund ihres Alters gemeinfrei ist. - Was die großen Musikkonzerne jedoch nicht daran hindert, Filme wie diesen dennoch zu melden und so seine Sperrung zu erreichen.
:-/







 
 
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12 11
Das offene Grab




Heute vor einem Monat starb Jürgen Kramer.

In der Rückschau ist es, als habe er einfach plötzlich aufgehört zu sprechen. Und nach einer kurzen Phase der Aufmerksamkeit ist auch das öffentliche Echo wieder verstummt. Alles geht seinen alltäglichen unaufhaltsamen Gang - eben genau jenen, gegen den Jürgen sich stets auflehnte, und dem er mit teils drastischen Bildern und Worten flammend gegenübertrat:
lebende Leichen
das Nichts
Wüsten in uns
Aufruhr
Revolte
Kunst
Liebe
das Bergwerk der Seele
Mensch werde wesentlich!
Wer spricht weiter?
Spricht er weiter?


Provokant war Jürgen bis zuletzt. Als er mich im September diesen Jahres beauftragte, einen neuen Katalog mit seinen Bildern zu layouten, legte er als erstes das Titelbild fest: "Grab 2" aus dem Jahre 2011.

Ich schrieb per Mail:
Hallo Jürgen,

die Komposition liegt in den ersten Zügen. Viel zu sehen ist noch nicht.

Nur dieses: über das Titelbild habe ich mir Gedanken gemacht. Du sahst hierfür das Grab mit Spaten vor. Astrid meinte daraufhin spontan: "Grab als Titelbild? Geht denn das? Muss denn das?"

Ich weiß, Du kannst diese Bildwahl sicher begründen, aber auch ich dachte mir: Hm, Grab is Grab. Deshalb habe ich mal einen Alternativ-Entwurf entwickelt. Siehe Anhang. ;-)

Gruß,
Jesse


Auf diesem "Alternativ-Entwurf" hatte ich das Bild "Schwalben" von 2009 ganzseitig ins Format gesetzt und den Titel weiß hineingeschrieben. Doch Jürgens Antwort kam prompt:
Lieber Jesse,

das "Grab 2" muß sein, damit sich Kenner wie Astrid provoziert fühlen, einerseits. Andererseits ist es eine Erinnerung an meine "schwarze Periode".
Bitte nimm auch für Schrift und Komposition das Vorbild unseres Partiturenkatalogs, damit so etwas wie eine Reihenvorstellung entsteht.

Morgen, Dienstag, bin ich den ganzen Tag unterwegs. Also bis Mittwoch

Herzlichst
Jürgen


Das Grab - sein Programm. Er wußte - wie immer - genau, was er wollte.

Auch Johannes Stüttgen wies in seiner Trauerrede auf dieses Titelbild hin:
... Jürgen Kramer hat kontinuierlich, ja bis zuletzt Gräber gemalt, durch all die Jahre bis zum letzten – das letzte Grab ist auf seinem letzten Heft „Grab 2“ 2011, auf dem Deckel abgebildet, also noch in diesem Jahr gemalt. Und wenn man ganz genau hinschaut, über dem Grab mit der Schaufel links in dem Erdhaufen, dann sieht man da weiße, ganz leichte weiße Flügel.

Kramer hat ununterbrochen Gräber gemalt, bezeichnenderweise auch ununterbrochen Engel. Und diese zwei Aspekte, das Grab und der Engel – das gehörte bei ihm zusammen – in diesen Jahrzehnten ununterbrochener Arbeit immer am Rande des Grabes, unmittelbar am Abgrund. ...

->Quelle


Das offene Grab - war es schon sein eigenes? Unweigerlich denkt sich dieser Gedanke.

Aber gewußt hat er doch sicher nicht, dass es schon so bald soweit sein würde? Wie der obige Mailwechsel dokumentiert, war er nach wie vor "unterwegs". Und offensichtlich stand das Grab bei ihm ja ohnehin für etwas ganz anderes. Vielleicht gar mehr für das Leben als für den Tod?

Ob man nun Johannes Stüttgens Bild von Jürgen Kramer als desjenigen "der den Tod ununterbrochen versucht hat zu ergreifen, der sich auf ihn eingelassen hat, so, daß es fast unvergleichbar ist" zustimmen will, bleibt jedem selbst überlassen.

Ich will an dieser Stelle auch an Joseph Beuys erinnern, der sagte:
"Der Tod hält mich wach."



Jürgen hatte den Druck seines letzten Kataloges durch den Verkauf des Bildes "Königin" finanzieren können. Er betrachtete das schmale Heft im guten Sinne als Werbung für sich und seine Arbeit; deshalb gab er es kostenlos ab und legte es teilweise sogar zur Mitnahme aus, z.B. im Geschäft eines befreundeten Optikers in seiner Nähe. Vor diesem Hintergrund denke ich, ich handele in Jürgens Sinne, wenn ich seine letzten "Malereien" nun auch online zur Verfügung stelle.

Der Katalog kann hier als PDF heruntergeladen werden.
Ich wünsche viel Freude daran.

juergen_kramer_-_malereien_2009-2011 (pdf, 1,081 KB)









 
 
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12 11
Et Nødskudd

+ Größer


Ein Gemälde des norwegischen Malers Christian Krogh aus dem Jahre 1887.


Seit ich dieses Bild vor ein paar Jahren zum ersten Mal in einem Buch über die "Maler des Nordens" sah, hat es mich auf eine spezielle Art und Weise angesprochen.

Für ein Ölgemälde ist es ein ungewöhnliches Motiv. Man fragt sich, was denn da eigentlich zu sehen ist. Ein Mann im Wind (für mich ist es ein junger Mann). Er hält sich mit der rechten Hand an einem Türrahmen fest. Man ahnt die leicht schwingende Bewegung dieser spielerischen Haltung und wie sein linker Arm durch die Luft fährt. Er blickt um eine Ecke herum ... ja, wohin? Auf etwas, das wir nicht sehen können. Ist es die weite leere Landschaft, wie sie ja auch im linken Bildteil daliegt? Oder ist da mehr? Und ist da im Hintergrund eigentlich das Meer zu sehen? Oder nicht?

Ich muss dazusagen, dass dieses Bild in meinem Buch am unteren Rand beschnitten war. Es hörte knapp unter den Schuhen des Mannes einfach auf. Das merkte ich aber erst, als ich im Netz die hier eingestellte Version fand. Zuvor hatte ich oft gedacht, das "Haus" könnte der letzte Wagen eines Zuges sein und der junge Mann ein Zugbegleiter, der während der Fahrt die Nase in den Wind hält. Nun sehe ich Steine unterhalb der Türschwelle. Das Haus steht also fest. Was relativ ist, scheint es sich doch auf irgendeine Art im Wind zu biegen, genauso wie der Mann auf der Schwelle.

Was ich ebenfalls neu herausfand - das Bild hat auch einen Titel: "Et Nødskudd", zu deutsch: "Ein Notschuss".

Nun war ich wirklich verwirrt. Ein Schuss? In Not? Wer schießt? Ich kann keine Waffe entdecken. Der Mann wird doch wohl nicht gerade angeschossen???

Weiteres Nachforschen im Netz förderte sofort weitere Bilder mit diesem Titel zutage, ebenfalls aus dem skandinavischen Raum. Sie zeigen z.B. Leute, die aufspringen und aus dem Fenster blicken: KLICK
Hier noch eine andere Version: KLICK
Aus weiteren damit verknüpften Suchergebnissen wurde auch deutlich, dass es sich um ein Motiv mit Bezug zur Seefahrt handeln musste.

Und schließlich fand ich noch ein weiteres Gemälde von Christian Krogh selbst, mit dem gleichen Titel und dem gleichen Thema, nur in anderer, deutlich weitergehender Ausführung:



Und nun wird endlich klar, worum es hier geht und was der Notschuss bedeutet. Ein Schiff, das vor der Küste in Seenot geraten ist, hat einen Signalschuss abgegeben. Seeleute eilen ihm am Ufer zu Hilfe. Der Mann an der Türschwelle ist diesmal eindeutig ein alter Mann, vermutlich bleibt er deshalb am Haus zurück. In den Wind gehängt betrachtet er von ferne das drohende Unheil.


Werfe ich nun einen Blick zurück auf das erste Bild, kann ich es unter anderen Vorzeichen betrachten. Natürlich hat es sich verändert, es hat eine Geschichte bekommen.

Was aber nicht bedeutet, dass mein damaliges "Bild" dieses Bildes deshalb verschwunden wäre. Nein, es existiert ebenfalls weiter, und ich kann mir meinen ursprünglichen Eindruck wieder in mir wachrufen - den eines jungen Mannes, der locker am letzten Wagen eines fahrenden Zuges hängt und in die Welt vor ihm blickt. Nicht ganz drinnen, nicht ganz draußen,
schwebend,
fliegend,
erwartungsvoll...







 
 
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12 11
Schiffchen
Schwierige Zeit, problembeladen. Möglichkeiten verenden; Kreativität scheint zu ersticken. Sorge. Dazu Winterwetter. Regen, nasse Kälte. Es beginnt früh zu dunkeln, Stadt und Menschen verschließen sich.

Ich fahre mit der U-Bahn durch Gelsenkirchen. Alltagsrauschen, gedeckt, gedämpft, trüb. Leute steigen schweigend ein und aus.

Plötzlich fällt mein Blick auf eine Haltestange direkt neben meinem Stehplatz. Auf ihrem oberen Knick liegt ganz ruhig ein kleines Schiff. Mitten in der U-Bahn. Wie aus einer anderen Welt gekommen! Es ist ein Papierschiffchen, gefaltet aus einem Fahrschein, einem Einzelticket. Ganz fein und sauber ist es gemacht, wie das Ideal eines Papierschiffchens.

Und ein Bild ist das, wie es da auf dem glatten Metallabschluss der Haltestange liegt. Ein Windhauch würde genügen, es von seinem Platz zu fegen. Aber es bleibt liegen. Die Bahn hält, fährt an, das Schiff bewegt sich ein wenig wie bei ganz leichtem Wellengang - und bleibt liegen.


Solange es Menschen gibt, fährt es mir durch den Kopf, die aus grauem Alltag heraus solche Dinge tun, etwas so schönes, kleines, anregendes - solange wird es auch weitergehen.


Der Mantelärmel einer vorbeigehenden Mitfahrerin wischt das Schiffchen von seinem Platz. Ich hebe es auf und stecke es ein. Danke.









 
 
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12 11
Heute abend, 19 Uhr, Gelsenkirchen-Altstadt: KLICK







 
 
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11 11
"Am Montag gingen Welten zu Ende" ...
... schrieb Jazzam auf meinen Eintrag vom 22. November (KLICK).

Ja, tatsächlich. Jürgen Kramer ist gestorben.

Was war los am Montag? Von Beginn des Tages an war die Stimmung drückend. Jazzam fühlte sich schon beim Aufstehen nicht gut, und ich war gereizt und dünnhäutig. Wir stritten, schossen Worte ab, ließen Energien in die Luft. Knall! Ich wollte schon fort, doch dann kamen wir wieder zusammen und frühstückten gemeinsam. Da ist nämlich so ein Band zwischen uns, das muss ganz sicher aus Gummi sein. Wird es einmal gedehnt, zieht es uns auch wieder zueinander.

Doch als ich mich auf den Weg zu meinem Arbeitsplatz machte, ballte sich in mir noch immer alles zusammen. Schwermut überkam mich, Ausweglosigkeit, sehr fatalistisch. Schrecklich. Kein Weg. Ich fühlte mich in meinem Leben beengt und unfrei. Der Sinn, die Zeit, der Raum, die Gesundheit ... die Möglichkeit ...

Ich kenne solche Stimmungen bereits, ab und zu ereilen die mich, und erst recht im November.

Doch diesmal schien ein Ende erreicht. Immer wieder schoss es mir durch den Kopf: Ich würde kein Künstler mehr sein, das sollte heute enden! Ich würde nicht mehr träumen, das sollte heute enden! Ich würde nicht mehr diesen irren, unvorhersehbaren Weg der künstlerischen Inspiration gehen. Diesem Ideal wollte ich heute abschwören, das sollte heute enden!

Ich würde fortan ganz realistisch mit realistischen Zielen leben. Konventionell arbeiten, Geld verdienen, die Erwartungen erfüllen, es irgendwie machen. "Ich" würde nicht mehr gebraucht.

Vor dem Rechner sitzend sagte es in mir ganz klar: Auch einen Blog brauchst Du nicht mehr zu führen. Ein Schlusspunkt musste gesetzt werden. Fin. Mit Bleistift schnell auf einen herumliegenden Zettel gezeichnet. Reinzeichnung? Nein, ein Ende ist ein Ende. Fin! Viertel vor Zwölf war das.

Die Eingabemaske fragte mich, in welcher Kategorie der neue Beitrag stehen sollte. "Befindlichkeit", was sonst? Nein, durchfuhr es mich plötzlich, wenn ich das mache, könnte womöglich irgendjemand da draußen denken, ich wolle mich ... Das ging nicht, so etwas darf man nicht tun. Verantwortungsgefühl. Also: "Gedachte Welt".

Ich hatte noch eine Zeichnung zu machen, im Auftrage. Damit befasste ich mich den Nachmittag über. Die letzte! Danach legte ich meine Utensilien in eine Schublade und schob sie zu.

Fin.


Der nächste Tag, der Dienstag, war recht ruhig. Jazzam und ich, bzw. das, was von Ich übrig war, gingen spazieren, später bereiteten wir uns auf den Abend vor. Gemeinsam mit anderen wollten wir eine Lesung aus dem Buch der Gelsenkirchener Geschichten gestalten. Die Lesung verlief harmonisch und gut. Befriedet ging ich von dort, vieles begann sich langsam zu lösen und wieder zu öffnen.

Ich hatte den Ton der Lesung mitgeschnitten und setzte mich spät noch einmal an den Rechner, um die Aufnahme zu bearbeiten. Als ich damit gerade fertig war, las ich die Nachricht:

Jürgen Kramer war gestorben. (KLICK)

Wie ein Schlag. Alles kippte. Das kann doch nicht wahr sein. Jürgen.

Das mag jetzt vielleicht merkwürdig klingen, aber in diesem Moment habe ich seine Telefonnummer gewählt. Ich dachte, er würde vielleicht abheben. ... Oder aber jemand anderes, Angehörige, ein Arzt, wer weiß. Oder aber es würde niemand abheben. ... Es hob niemand ab. Und mir wurde klar, dass das Telefon in einer leeren Wohnung klingelte.

Die folgenden Tage waren sehr traurig. Viele äußerten sich im Netz. Mir kamen keine Worte. Ich bin von meiner Natur her schwer zu berühren, bin einfach nicht so tiefgängig (etwas, was mir oft Gedanken macht) - doch um Jürgen habe auch ich geweint.

So plötzlich war das gekommen. Diesen Freitag hatte er noch eine Beuys-Ausstellung in Bergkamen einleiten wollen. Er war aktiv mitten in seinem Fluss, seinem Fluxus. Und dann so herausgerissen. Er hatte es wohl ebensowenig kommen sehen, wie wir anderen.





Wer war Jürgen Kramer? Ein Künstler. Ja, das war er wirklich. Er stand für die Kunst. Er war die Kunst. Er lebte sie. Bedingungslos. Er meinte es ernst.

Wirkliche Ernsthaftigtkeit ist etwas so Seltenes und etwas doch so Wichtiges.

Jürgen zeigte Kunst, er erzählte Kunst, er focht für die Kunst unermüdlich immer neue Dispute, sie sind im Netz fast alle nachzulesen. Er bezog eindeutig und mit größter Überzeugung Position für die Kunst - und stieß damit oft auch auf Ablehnung und Gegenwehr. Bisweilen war das heftig. Manch einer stemmte sich mit Hohn und Spott, gar feindselig, gegen seine Worte, gegen einen, der unerwünschte Wahrheit kundttat. Doch im Grunde suchte Jürgen gerade auch zu provozieren, aufzurütteln. "Revolte" nannte er das.

Viele standen zu ihm, ich ganz besonders. Und ich diskutierte ungemein gern mit ihm, oft auch kontrovers, bisweilen neckend. Er verstand und schätzte das.

Wir spürten, dass in der Kunst etwas ganz Besonderes steckt, etwas ungemein Wichtiges, das Geheimnis des Lebens sozusagen.

Sein Lebenswandel imponierte mir ganz gewaltig. Er war. Er tat. Er ging seinen Weg.

Das hatte durchaus auch einen düsteren Aspekt. Denn sein Weg war oft einsam. Er gab viel an die Kunst, im Grunde fast alles. Vielleicht auch infolgedessen war er bereits seit langer Zeit gar nicht mehr gesund. Viele, die ihn in früheren Zeiten gekannt hatten, erkannten ihn später äußerlich kaum wieder. Und mir wiederum fällt es schwer, den Jürgen, den ich kannte und so schätzte, mit dem auf alten Fotos zusammen zu bringen. "Frühzeitig gealtert und innerlich sehr jung geblieben", so drückte Emscherbruch es aus. (KLICK)

Leben und Tod in Berührung?





Jürgens Lehrer war der große Joseph Beuys, über den ich von ihm und durch ihn viel erfahren und gelernt habe. Jürgen wurde mir, so ganz nebenbei, ein Lehrer, der mich mit den Beuys`schen Ideen bekannt machte - von denen manche irgendwie unausgesprochen immer schon auch in meinem Kopf steckten. Eingeboren????

Beuys sagte: "Jeder Mensch ist ein Künstler." Der wohl richtigste und von vielen mit allergrößtem Eifer missverstandene Satz. Ich denke heute, Beuys hat ihn absichtlich so gesagt, dass er missverstanden werden konnte. Denn auch er suchte immer das Gespräch über seine Sätze, suchte die Auseinandersetzung, die Revolte, denn ohne die hätten sie auch schnell wieder untergehen können im Wüten der Welt. Sie durften nicht zu leicht erkennbar sein; gerade darin lag auch ihre Tiefe, ihre Lebendigkeit.

In diesem Sinne schlug der Beuys-Schüler Jürgen Kramer in seiner Malerei sehr schnell eine Richtung ein, von der er sich praktisch sicher sein konnte, dass der große, modische Kunstmarkt niemals mehr als ein Lächeln für ihn übrig haben würde. Er malte gegenständlich, wo andere abstrakt malen, er malte realistisch, wo andere Formen reduzieren. Er malte fahrig und unfertig, während andere sich der, wie er es nannte, "Schamhaarmalerei" befleißigen. Während die Vertreter der großen Kunstwelt oft beeindruckend-kühle Eleganz anstreben, malte er farbig, blumig, menschlich, gefühlig. Und oft auch ganz schön kitschig! Ja, der Kitsch war ihm etwas sehr Liebes, Wichtiges.

Es soll hier auf keinen Fall so wirken, als habe Jürgen einfach prinzipiell "gegen den Strich" gemalt, das würde seinem überraschend vielseitigen Werk nicht im mindesten gerecht. Ich denke, er hat vielmehr so gemalt, wie ein Mensch aus sich heraus malen will - wenn er es denn wagt! Wenn er sich nichts aus der übermächtigen programmatischen Abschätzung der Moderne allem "Gefälligen" gegenüber macht. Wenn er sich auf seine ganz persönlich und dabei doch universell menschliche Suche begibt. Wenn er Kunst schafft, die auch ihm selbst "gefällt".

Ein Handschlag des Professionellen mit dem Dilettanten, vielleicht gar mit dem "Sonntagsmaler"? Sicher auch, aber nicht nur. Er war da noch mit ganz anderen im Bunde, mit großen Denkern und Künstlern, häufig aus der Romantik des 19. Jahrhunderts überliefert, doch auch in späteren Zeiten stets anzutreffen, mit einem ganzen verschworenen Bunde von Querdenkern und künstlerischen Individualisten, die sich keinem modernen Diktat beugen wollen, und die, trotz aller Verschiedenheit, bei genauem Hinsehen doch eines eint: ihre Auseinandersetzung mit den wesentlichen Dingen.

Das "Gute, Schöne, Wahre"? Ganz sicher. Doch auch das Dunkle, das Hintergründige, das Leidvolle, das Geheimnisvolle, das Gefährliche, das Traurige, das Lebendige, das Heitere. All das und mehr hat Jürgen gemalt.

"Mensch werde wesentlich!" - diesen Satz schrieb Jürgen sich auf die Fahne, und den sagte er uns auch unermüdlich immer wieder. In einer Zeit der Dekadenz, der Verflachung, der Verfransung, der Hyperisierung, des "Post-", in einer Zeit die sich, bei objektiver Betrachtung schlicht unleugbar, dem Wahnsinn, dem "NICHTS", dem Nihilismus, dem Unausdenkbaren hingibt, traf dieser Satz einen Nerv. Bei manchem unangenehm; jeweils da, wo er entlarvte.

Beuys erkannte die "soziale Plastik".
Jürgen Kramer sah, wie sie wankt und krankt.
Die Kunst war für ihn Heilung. Und wenn er sich ein um's andere mal mit Hölderlin fragte: "Wozu Dichter in dürftiger Zeit?" - dann wußte er doch genau die Antwort.





Fin?

Fin???

Wie könnte, nein, dürfte es ein Fin geben nach Jürgen Kramers Tod???

Nein!
Die Kunst stirbt nicht!
Und, wie Jürgen es sich bereits 1970 von seinem Lehrer Joseph Beuys schriftlich bestätigen ließ (KLICK): Ich stirbt auch nicht!


Ich danke Dir, Jürgen.


Jesse









 
 
21
11 11







 
 
08
11 11
Eiche und Birke
Ein Spaziergang über eine kleine renaturierte Bergehalde am Rande von Gelsenkirchen führte mich in eine Pflanzung verschiedener in Reihen stehender kleiner Bäumchen. Eichenlaub lag im Gras und vor mir stand eine ganz junge, dünne Eiche. Doch ich stutzte. Die Rinde des Bäumchens war weiß, eindeutig Birkenrinde! Und daran wuchs Eichenlaub???



Ich glaubte schon, über ein Wunder der Natur gestolpert zu sein, doch ein genauerer Blick entlarvte das Bild.



Eine, ebenfalls noch junge, Birke hatte sich ganz nah an den Eichenschössling herangestellt, ihn dabei geradezu umschlungen, als wollte sie an der Eiche wie an einer Kletterstange emporranken. Und sie überragte diese Eiche bereits ein gutes Stück.



Was für ein Paar, wie könnten sie noch gegensätzlicher sein? Die standhafte symbolträchtige Eiche mit ihrem harten Holz, die langsam wachsend (bei guten Bedingungen) riesig hoch und 1000 Jahre alt werden kann. Dagegen die Birke, ein schneller Pionierbaum, in Windeseile hochgeschossen, oft aber nur von kurzer Lebensdauer, da so flach wurzelnd.

Noch klettert die Birke an der Eiche empor, zwei Bäume in Umarmung. Doch die Eiche wird nicht die kleinere bleiben; sie wird über die Birke hinauswachsen, sie mit ihren Wurzeln beiseite schieben und vielleicht um Jahrhunderte überleben.

Ein Momentbild zweier Typen mit so unterschiedlichen Lebensauffassungen ...







 
 
13
04 11
Liegerad


Heute von Astrid entwickelt: ein Piktogramm für das Liegerad!







 
 
12
04 11
Was werden die Kunsthistoriker der Zukunft ...




... wohl über unsere Epoche zu sagen wissen?
Zum Beispiel: "Es war alles sehr eckig." ???









 
 
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